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Wie gewinnt man das FEI Dressage World Cup Finale? Kathrin Wüst im Interview

08.04.2024 „Jede gute Kür muss mit einem Aha-Effekt beginnen.“ In wenigen Tagen beginnt das FEI Dressur Weltcup Finale in Riad. Die internationale Fünf-Sterne-Richterin Katrina Wüst gilt als absolute Freestyle-Spezialistin. Wüst hat zahlreiche Küren analysiert, hält Fortbildungskurse für Richter zum Thema Kür und saß selbst schon fünfmal bei einem FEI Dressur Weltcup Finale am Richtertisch. Und sie war es, die zusammen mit dem IT-Experten Daniel Göhlen das System zur Erfassung des Schwierigkeitsgrades (DoD – degree of difficulty) einer Kür entwickelt hat.

Was ist wichtig für eine Weltklasse-Kür? Wie muss die Kür aussehen, wenn man FEI Dressur Weltcup-Final-Sieger werden will?




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Antworten von Katrina Wüst:

Was ist für Sie das Wichtigste beim Richten einer Kür bei einem FEI Dressur Weltcup Finale?
Katrina Wüst: Das Wichtigste beim Richten – von der niedrigsten Klasse bis hin zur Weltcup-Kür – ist generell, dass Pferde und Reiter in großer Harmonie agieren. Man muss das Gefühl haben, dass die Pferde gerne ihren ‚Job‘ machen.

Beginnen wir mit der Basis der Freestyle-Beurteilung. Wie sieht diese Grundlage aus?
Katrina Wüst: Jede Kür wird mit einer technischen und einer künstlerischen Note bewertet. In der technischen Note wird die Kür Bewegung für Bewegung bewertet, aber gleichzeitig muss sich der Richter auch Gedanken über die künstlerische Qualität der Kür machen. Er drückt sein Urteil in der künstlerischen Note aus, die aus fünf Teilnoten besteht: Rhythmus, Energie und Elastizität, Harmonie zwischen Reiter und Pferd, Choreographie, Schwierigkeitsgrad und Musik.

EF3A5528 Emmelie Scholtens u. Indian Rock (VR Classics Neumünster 2024)

Die ersten beiden Komponenten, Rhythmus und Harmonie, spiegeln mehr oder weniger wider, wie die einzelnen Lektionen als solche benotet wurden. Das bedeutet, dass die künstlerische Note keine rein künstlerische Note ist, sondern immer noch zu 40 Prozent technisch ist, wobei die erste Teilnote für Rhythmus, Energie und Elastizität ein wenig außen vor ist: Hier werden die Reinheit der Gänge und der Schwung bewertet, und es geht mehr oder weniger um die Qualität des Pferdes. Wenn ein Pferd mit hervorragenden Gängen eine sehr fehlerhafte Kür zeigt, muss es hier trotzdem eine gute Note für seine Qualität erhalten. Umgekehrt kann auch ein weniger talentiertes Pferd mit einer schwierigen und gelungenen Kür punkten.

Für mich ist die Harmonie-Note eine Schlüsselnote bei der Bewertung der Kür. Sie spiegelt 1. die Ausbildung des Pferdes nach der klassischen Ausbildungsskala, 2. die Fehlerfreiheit der Präsentation und 3. den Einfluss des Reiters wider. Wenn ein Pferd in seiner Kür viele Fehler macht, dann ist die Choreographie meist falsch. Außerdem war der Schwierigkeitsgrad zu hoch und dann passt die Musik oft nicht mehr. Daher beeinflusst diese Wertung auch die drei folgenden künstlerischen Wertungen.

Worum geht es in den drei künstlerischen Noten genau?
Katrina Wüst: Erstens die Choreografie, die eine rein künstlerische Wertung ist. Künstlerisch heißt aber nicht, dass es auf den persönlichen Geschmack des Richters ankommt. Vielmehr kommt es darauf an, ob der Reiter sein Pferd besonders vorteilhaft präsentiert, d.h. ob er die Highlights seines Pferdes hervorheben und eventuelle Schwächen kaschieren kann. Daran zeigt sich, inwieweit der Reiter sein Pferd ehrlich analysiert hat und in der Lage ist, sein eigenes Können und das seines Pferdes einzuschätzen. Ein Beispiel: Neigt ein Pferd dazu, sich in der Tarversale besonders stark nach einer Seite zu verbiegen, dann kann es sinnvoll sein, die Traversale von hinten zu zeigen.
Aber es geht noch weiter: Beginnt der Reiter die Kür mit einem Wow-Effekt, so dass Richter und Zuschauer von Anfang an beeindruckt sind? Gibt es einen weiteren Höhepunkt am Ende? Dramaturgisch gesehen kann man Freestyles mit einem Theaterstück oder einem guten Buch vergleichen. Wenn ein Buch langweilig anfängt, will man es nicht weiterlesen. So ist es auch bei einem Freestyle: Er muss mit einem Paukenschlag beginnen. Wir Juroren achten darauf, ob die Kür einen positiven Spannungsbogen hat, aber auch darauf, ob sie mit Kreativität überzeugt oder ob alles nur nach dem bekannten Muster der Standardaufgaben gezeigt wird. Spanier zeigen zum Beispiel oft eine Kombination aus Galopptraversalen, Piaffe und zurück in die Galopptraversale zur anderen Seite – das ist unerwartet und spannend.

EF3A3425 Ingrid Klimke u. Franziskus (Neumünster 2023)

Kommen wir zum vierten Punkt, dem Schwierigkeitsgrad – es ist schwer, ihn als rein künstlerisch zu bezeichnen, oder?
Katrina Wüst: Nein, das stimmt, es ist eine halbtechnische Note, weshalb wir vor einigen Jahren das System entwickeln konnten, das den Degree of Difficulty, kurz DoD, misst. Der DoD ist eindeutig von der Qualität der Ausführung abhängig. Wenn ein Reiter eine schwierige Bewegung zeigt und diese nicht mindestens mit der Note 7 bewertet wird, dann kann und darf der Richter diese Lektion nicht positiv in die DoD-Wertung einfließen lassen.

Was zählt alles als schwierige Bewegung?
Katrina Wüst: Es gibt eigentlich nur drei Bewegungen: 1. die Piaffe-Pirouette, die Passage-Traversale und die Doppelpirouette. Zusätzlich gibt es 2. schwierige Übergänge, wie z.B. vom Halt in die Passage, und 3. schwierige Kombinationen wie Galopp-Traversale, Pirouette und von dort in den Galoppwechsel. 4. Einige Bewegungen werden auf schwierigen Linien gezeigt, wie z.B. Galoppwechsel auf der Zirkellinie, und 5. schließlich sind auch Wiederholungen enthalten. Das bedeutet nicht, dass der Reiter alle Bewegungen wiederholen muss, aber die Kernbewegungen wie Piaffe, Passage und Übergänge sollten enthalten sein.

Die fünfte Note fehlt noch, die Musik…
Katrina Wüst: Bei der Bewertung der Musik handelt es sich wieder um eine rein künstlerische Wertung. Aber nicht so subjektiv, wie manche Leute denken. Keinesfalls darf der Richter sein Urteil nach seinem eigenen Geschmack fällen, es gibt auch Kriterien für die Bewertung der Musik: Passt sie zu den Gängen des Pferdes und reitet der Sportler genau zur Musik oder ist er der Musik etwas voraus oder hinterher? Das sind die Grundvoraussetzungen. Wenn man in den höheren Notenbereich gehen will, kann es wirkungsvoll sein, wenn auch einzelne Bewegungen gekonnt von Musik begleitet werden, die Pirouette mit Glockengeläut zum Beispiel. Schön ist es, wenn die Musik zur Ausstrahlung von Reiter und Pferd passt, zum Beispiel wenn ein erkennbarer Bezug zum Namen des Pferdes, zum Land oder ähnlichem besteht. Denken Sie an Nadine Capellmann, die ihren Elvis zu Elvis-Musik geritten ist. Oder die spanischen Reiter zu Kastagnetten. Aber eigentlich ist das Wichtigste, dass die Musik Emotionen weckt und die Kür zu einem einzigartigen Erlebnis für die Zuschauer … und die Richter macht.

Was würden Sie sagen? Ist es schwieriger, eine Kür zu beurteilen, vor allem auf einem sehr hohen Niveau, als eine feste Aufgabe zu beurteilen?
Katrina Wüst: Das Richten von Küren ist immer schwierig. Durch das System zur Berechnung des Schwierigkeitsgrades ist es viel einfacher geworden. Seitdem reichen die Reiter einen Plan ein. Das ist fair gegenüber den Reitern, denn der Plan spiegelt ihre Ideen und versteckten Schwierigkeiten wider, von denen einige sonst sicher nicht in ihrer Gesamtheit erkannt werden würden.

Eine letzte Frage: Das FEI Dressage World Cup Finale wird zum ersten Mal in Saudi-Arabien ausgetragen, was halten Sie davon?
Katrina Wüst: Eine der ältesten Pferderassen der Welt, die Araber, stammen von der arabischen Halbinsel. Bislang hat der Dressursport dort keine große Rolle gespielt, aber Saudi-Arabien ist ein Land, das sich auch sportlich rasant entwickelt und über die nötigen Ressourcen verfügt, um ein großes FEI Weltcup Finale zu organisieren. Deshalb sehe ich es als eine große Chance für den Dressursport in dieser Region.

Quelle: Pressemitteilung FEI World Cup™ Finals 2024

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